Mit Tränen in den Augen genieße ich ein letztes Mal den Blick auf den Misti. Heute ist die Sicht auf Arequipas Vulkane klar. Es wird ein schöner Tag werden, denke ich, doch dann fällt mir ein, dass ich nicht mehr viel von diesem Tag erleben werde. Zumindest nicht in Arequipa – denn ich bin auf dem Weg nach Hause. Zusammen mit etwa 30 weiteren maskentragenden Deutschen sitze ich in einem Reisebus auf dem Weg zum Flughafen und habe keine Ahnung, ob meine letzte Reise gut gehen wird.

Doch fangen wir vorne an: Warum ich zwei Monate früher nach Hause geflogen bin und wie meine turbulente Reise verlief.

Als ich Anfang März von einem Virus hörte, dass sich auf der Welt verbreiten sollte, wusste ich noch nicht viel über dieses Covid-19. Und auch als ich ein paar Tage später erfuhr, dass Peru seine Grenzen, sowohl für Ein- als auch für Ausreisende, schließen würde, war mir noch immer nicht bewusst, was noch auf mich und die Welt zukommen würde.

Ich erinnere mich noch genau: Ich stand gerade in der Schlange des peruanischen Ausländeramts, um einen Antrag auf die Verlängerung meines Visums zu stellen, denn ich wollte schließlich noch bis Ende Mai in Peru bleiben. In dem Moment erreichte mich die Nachricht, dass in zwei Tagen die Grenzen geschlossen werden sollten. Dass niemand mehr auf unbestimmte Zeit ein- oder ausreisen könne, da das Virus sich schnell verbreite. Aber ich wusste auch, dass Covid-19 zu dieser Zeit vor allem in Europa und Asien verbreitet war und nur wenige Fälle in Südamerika bekannt waren. Kein Grund zur Sorge, dachte ich also und reihte mich wieder in die lange Schlange aus Venezolanern und anderen Ausländern ein.

Doch die Situation wandelte sich schnell.

Von Tag zu Tag zu Tag wurde das Coronavirus präsenter in den Medien und schnell wuchs die Zahl der Infizierten. Aber da die Lage in Deutschland zunächst schlimmer schien, beschloss ich, in Peru zu bleiben. Es waren erst wenige Fälle bekannt und man war sich der Geschwindigkeit, mit der sich das Virus ausbreitet, noch nicht bewusst.

Doch bald erreichte Covid-19 auch Lateinamerika. Und sowohl die großen Armutsviertel als auch die fehlende medizinische Versorgung sorgten dafür, dass die Infektionsrate rasant stieg.

Präsident Vizcarra fing an, tägliche Ansprachen an das peruanische Volk zu halten und langsam aber sicher ging das Land in den Lockdown.

Aus der Verlängerung der Ferien wurde eine Schließung aller Schulen, deren Ende von Woche zu Woche ferner schien. Alle Fitnessstudios, Sprachschulen, Kinos, Restaurants – einfach alles bis auf Krankenhäuser, Supermärkte und Banken – mussten den Betrieb einstellen. Und dann begann die Ausgangssperre. Heißt: Keiner darf das Haus verlassen, es sei denn zum Einkaufen, um zur Bank zu gehen, oder um seinem systemrelevanten Beruf nachzugehen.

Kurz, bevor ich ausreiste, wurde es komplett absurd: Männer und Frauen durften nur noch an unterschiedlichen Tagen das Haus verlassen. Montag, Mittwoch, Freitag die Männer, Dienstag, Donnerstag und Samstag die Frauen. Am Sonntag durfte niemand raus.

Auf mich traf natürlich keine Systemrelevanz zu und so verbrachte ich meine Tage zu Hause. Zusammen mit meiner Gastfamilie beobachtete ich jeden Tag, wie das Virus langsam aber sicher, und dann immer schneller, die ganze Welt lahmlegte.

Noch nie in meinem Leben habe ich mich so eingesperrt gefühlt, so hilflos, denn niemand wusste – niemand weiß –, wie lang diese Situation anhalten wird. Das Einzige, was ich wusste, war, dass ich hier so schnell nicht wieder rauskommen würde, denn die Grenzen waren ja zu. Keiner durfte rein ins Land, keiner durfte raus.

Ich verbrachte den kompletten März im Lockdown und verließ ganze zwei Male das Haus: einmal, um meinen Handyvertrag beim Kiosk gegenüber zu verlängern, damit ich weiter nach Deutschland telefonieren konnte, und das zweite Mal einen Tag vor meiner Abreise.

Die Rückkehr

Die Bundesregierung bietet für den Fall von Krisen im Ausland eine Liste an, auf der man sich vor einer Reise eintragen kann: die sogenannte ELEFAND-Liste (Elektronische Erfassung von Deutschen im Ausland). Sollte irgendetwas zu einem Notstand führen, ist die deutsche Regierung so über alle Bundesbürger*innen im Ausland informiert.

Gut, nun erwartet eigentlich niemand, dass uns ein Virus mit einem futuristisch-klingendem Namen überfällt, sich rasend schnell auf der ganzen Welt ausbreitet und dafür sorgt, dass das Land, in das man reist, in den Lockdown geht, oder? Ich jedenfalls nicht.

Deshalb hatte ich es auch versäumt, mich auf diese Liste einzutragen. Irgendwann im März, als man von immer mehr Infizierten hörte, dachte ich, dass ich mich vielleicht doch mal bei der Bundesregierung melden sollte, doch offenbar hatten ein paar weitere Deutsche die gleiche Idee – der Server der ELEFAND-Liste war komplett überlastet und ich konnte mich für Tage nicht anmelden. Als ich es dann geschafft hatte (zu peruanischer Zeit um 1 Uhr nachts), stellte sich aber heraus, dass nun schon eine andere Liste erstellt worden war, auf die man sich eintragen sollte, wenn man Interesse an einer sogenannten Rückholaktion aus dem Ausland hatte. Dieses Interesse hatte ich inzwischen. Und es war sehr groß.

Ich trug mich also auch auf dieser sogenannten Condor-Liste ein (irgendwie ironisch, der Kondor ist eines der wichtigsten Tiere in der peruanischen Kultur) – und dann passierte erst einmal nichts.

Machu Picchu – Leider nur als Puzzle

Tag für Tag hörte ich Vizcarras Ansprache, verfolgte die Zahl der Infizierten, widmete meine Zeit dem Puzzeln und wartete. Darauf, dass es endlich gute Neuigkeiten gab.

Und die Bundesregierung blieb nicht untätig. Das Problem war jedoch das Ein- und Ausreiseverbot, das die peruanische Regierung ja verhängt hatte. Das führte dazu, dass zunächst einmal keine deutschen Flüge in Peru landen durften. Zudem mussten die deutschen Touristen ja auch noch von allen Teilen Perus nach Lima kommen, denn nur von der peruanischen Hauptstadt aus starten internationale Flüge.

Nach langen Verhandlungen willigte die peruanische Regierung schließlich ein! Gerade, als ich mein drittes Puzzle vollendet hatte (Heißluftballon über Machu Picchu), starteten die ersten Flüge aus Lima nach Europa und dann – nach etwa zwei Wochen, die sich anfühlten wie zwei Monate – dann endlich auch aus Arequipa. Aber nicht wie sonst über Lima, sondern nach Santiago de Chile und von dort nach Frankfurt.

Nach und nach bekamen meine deutschen Freunde in Arequipa Bescheid, dass sie auf der Passagier-Liste für jenen Flug standen. Aber ich bekam keinen Anruf. Doch dann – zwei Tage vor Abflug – erreichte mich eine E-Mail: Sehr geehrte Frau Kleyboldt, bitte kommen Sie am Freitag, den 3. April um 6 Uhr zu der deutschen Botschaft, um die Rückreise nach Deutschland anzutreten. Oder so ähnlich. Anscheinend hatte man vergessen, mich anzurufen, oder mich nicht erreicht. Aber: Ich stand auf der Liste und würde wirklich nach Hause fliegen können!

Die lange Schlange vor der Botschaft – Natürlich mit Sicherheitsabstand

Noch am Morgen der Abreise war ich mir nicht sicher, ob alles so kommen würde, wie geplant.

Um 6 Uhr morgens versammelten wir uns am Instituto Peruano-Alemán – der Botschaft – und nach drei Stunden Warten und Formulare ausfüllen ging es endlich zum Flughafen.

Zum Glück lief alles perfekt, Reisebusse brachten uns zum Flughafen Arequipas, wo wir zunächst zwei kleine Flieger nach Santiago nahmen und von dort mit einer größeren Maschine nach Frankfurt gebracht wurden.

Die Unsicherheit der letzten Wochen hatte mich geschafft. Jeden Tag auf eine Mail oder einen Anruf zu warten, nicht zu wissen, ob meine deutschen Freunde nach Hause kommen, aber ich nicht, all das war nicht spurlos an mir vorbei gegangen. Ich wollte einfach nur weg.

Erst, als ich im Flieger nach Deutschland saß, wurde mir bewusst, dass es nun vorbei war. Und zwar alles.

So habe ich mir das Ende meines Auslandsjahres nicht vorgestellt. Ich glaube, so hat sich keiner das Jahr 2020 vorgestellt. Ich konnte mich nicht mehr von meinen peruanischen Freunden und den Lehrern und Schülern des Colegios verabschieden. Eigentlich wollte mich meine Familie in Peru besuchen kommen und ich wollte ihnen all das zeigen, was ich so gut kennenlernen durfte.

Doch es ist anders gekommen, und das ist okay. Ich bin dankbar für all das, was ich erlebt habe, die Menschen, die ich treffen durfte, das Land, das ich kennengelernt habe.

Die Situation ist inzwischen tragisch in Peru. Es gibt so viele Infizierte und Tote wie in fast keinem anderen Land Südamerikas. Und die Zahl steigt. Das Problem sind die Armutsviertel, in denen es kein fließendes Wasser, keine medizinische Versorgung gibt. Die Menschen sind arbeitslos und viele sterben nicht am Virus, sondern an Hunger und Durst. Und auch, wenn das alles vorbei ist, wird Peru noch lange unter den Folgen der Corona-Pandemie leiden.

Mir ist während meiner Zeit in Peru bewusst geworden, wie privilegiert wir sind. Wir haben so viele Rechte und Möglichkeiten und wir sollten sie nutzen! Für ein friedliches Miteinander ohne Diskriminierung und Hass. Wo wir aufeinander achten und einander helfen.

Ich bin dankbar für alles. Bleibt gesund.

Gracias por todo, gracias Perú!

P.S.: Wenn ihr den Menschen in Peru helfen wollt, dann könnt ihr euch an der Spendenaktion von Beethovianos Internacional beteiligen! Die Spenden gehen an peruanische Familien in Not, damit sie sich wenigstens die wichtigsten Lebensmittel kaufen können. Bisher konnten schon etwa 40 Familien unterstützt werden. Hier findet ihr alle wichtigen Infos: https://beethovianos-internacional.de/aktuelles/corona-hilfsaktion/

Un fuerte abrazo

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